Neun Schrauben

Neun SchraubenNeue Heimat

Ort:
Neue Heimat, Berlinische Galerie, Berlin
Datum: 
12.9.2007 – 7. Januar 2008
Material:
Ikea Bett, Bettdecke, 2 Lampen, Bademantel
Fernseher, Video “Neun Schrauben”
Photograph:
Manfred Wilhelms

Die Darstellung des Abwesenden

Robert C. Morgan
Aus dem Englischen übersetzt von Vanessa KroutIch mag Birgit Ramsauers Filme sehr gern. Birgit Ramsauer ist eine der Videokünstlerinnen, deren Arbeiten in ihrer stimmigen Sensibilität, intuitiv kalkuliert, den Experimentalfilmen der frühen Filmgeschichte sehr ähnlich sind. Sie ist sich sehr wohl ihrer Quellen bewusst, zu denen Man Ray, Hans Richter, Viktor Eggling, Fernand Leger und Maya Deren zählen. Im Gegensatz zu diesen bahnbrechenden Filmkünstlern stößt Ramsauer jedoch weiter ins 21. Jahrhundert vor. Sie nutzt komplexe Formen des digitalen Schnitts, mischt Schwarz-Weiß mit Farbe, artikuliert dramatisch positive und negative Beleuchtung und verbindet in feinsinnigem Nebeneinander narrative Formen mit schnellen Flashbacks. Ramsauers visuelle Gedichte – wie sie sie nennt – sind so poetisch und prägnant wie diejenigen der dadaistischen, surrealistischen oder konstruktivistischen Filmkünstler der 20er Jahre. Als Ergänzung zu dieser kinematischen Poesie nutzt die Künstlerin gelegentlich Readymades architektonischer Formen der Umgebung, sowohl innen als auch außen, was die inhärenten Möglichkeiten der Interpretation ihrer Filme im Hinblick auf Echtzeit und -raum vervielfacht.Für ihr Video-Environment in der Berlinischen Galerie hat sie einen eher subtilen und ästhetischen Film gewählt, mit dem Titel THE 9 SCREWS (Die 9 Schrauben). Das Konzept ist sehr einfach und tiefgründig zugleich. Der Film erzählt eine Kriminalgeschichte. Doch wie benennt und bezeichnet hier die Kunst ein Verbrechen? Und wo finden wir es? Die Darstellung innerhalb des Films verzichtet auf menschliche Figuren. Anstatt mit Schauspielern, belebt Ramsauer die gespenstischen Orte des Verbrechens mit Möbeln oder Bauteilen von Möbeln, die die Figuren repräsentieren. Tisch- und Stuhlbeine stecken aufrecht im Rasen, Tische stehen im Freien an der Laderampe eines Lagerhauses, Schränke liegen auf der Seite oder leicht vornüber geneigt in einem seichten Bach in idyllischer Umgebung. Die Erzählung ist gänzlich subjektiv. Eingefangen durch das Auge der Kamera, die sich bei Tag und bei Nacht in Vor- und Rückblenden durch die Landschaft bewegt. Ihre semiotische Struktur scheint das unbekannte Verbrechen zu rekonstruieren, das unheimlicher ist als alles eindeutig Gezeigte.Diese versteckten narrativen Qualitäten sind auch in Ramsauers anderen kurzen Videos präsent, wie in SKYLINE (2001) und SYNAGOGUE SOUND (2007), die beide im März diesen Jahres in der Lower East Side von New York gezeigt wurden. Beide visualisieren einen Rundgang, der einerseits über einen Flughafenparkplatz, im anderen Fall durch eine Synagoge in Görlitz führt. Begleitet vom Klang eines Metronoms und dem Vortrag von Paul Celans TODESFUGE, vermitteln sie eine ähnlich rätselhafte Atmosphäre wie THE 9 SCREWS. Gleichsam in erhabenen Kadenzen schwebend, die immer wieder dorthin zurückkehren, wo alles begann, entwickelt sich eine Poesie zwischen der Erinnerung des Vergangenen und der Erwartung des Zukünftigen.Die eigens für die Ausstellung NEUE HEIMAT konzipierte Installation besteht aus einem IKEA-Bett, inklusive zweier Nachttische und einer Lampe. Der quadratische Treppenpfeiler, ein wesentliches Element der Museumsarchitektur, ist in die Installation des Bettes integriert – ein Zitat des Baumes, der eben dieses Bett im Film THE 9 SCREWS durchdringt. In einer Liveperformance versucht Birgit Ramsauer vergeblich, sich auf dem Bett schlafen zu legen. Gleichzeitig ist das Video auf zwei Bildschirmen der Installation präsent. Innerhalb des Ensembles wird die dynamische Dialektik von Innen- und Außenraum, reproduzierter und real vor Ort erlebter Zeit, in eine mystische Ebene transportiert. Ramsauer ermöglicht so einen Einblick in die psychische Kraft der Fantasie, die allein es vermag, eine Vision der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auszulösen oder abzuwehren. Manchmal dringen alle drei Zeitebenen zugleich in unser Bewusstsein, Gegenwart wird Vergangenheit, Anwesenheit wird Abwesenheit; die Suche nach den fehlenden Teilen, den Schrauben, die alles zusammenhalten sollen, beginnt.

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